Aussenansicht eines Rustici

Rustikal und fernab der Hektik im Bleniotal. Es ist nicht leicht das Ferienglück zu finden. Darum sucht man es, wo es möglicherweise zu haben ist.

Da liege ich nun, als natur- und tierliebende Stadtzürcherin im oberen Bleniotal auf 1’350 m.ü.M. am Ziel meiner nostalgischen Träume: im Bett unter dem Dachgebälk eines 2-Zimmer-Rustico. Es ist 22 Uhr, stockdunkel und grabesstill. Durch das tief liegende kleine Fenster kann ich weit unten im Tal Dutzende Lichtpunkte erkennen. Das musste das für seine Thermalquellen und Heilfango bekannte Aquarossa sein, das seinen regen Bade- und Kurbetrieb nach fast 200 Jahren 1971 schloss. Aber mir war nach Schlaf, trotz sternenklarer Augustnacht. Seit anderthalb Stunden bin ich oberhalb von Ponto Valentino und Largario im Gebiet Piancabella, wie auch das Rustico heisst. Gottverlassen in einem alleinstehenden, abgelegenen rustikalen Schmuckstück auf einer Wiesenfläche. Umgeben von Wald, Sträuchern und einer 180 Grad Aussicht auf das gegenüberliegende Adula-Gebirgsmassiv, dominiert vom schneebedeckten Rheinwaldhorn. Hie endet, nach einer Rustici-Besichtigungstour kreuz und quer, rauf und runter im Val Malvaglia, einem Seitental des Valle di Blenio, beim Eindunkeln der erste Erfahrungstag in Sachen Rustico-Ferien. Die letzten 150 Meter Fussweg über eine Bergbachbrücke, unter Haselnussbäumen entlang zog ich meinen, für diesen rustikalen Abstecher ins Tessin eher ungeeigneten, Schalenkoffer hinter mir herziehend, in dem ich vorsorglich auch ein Sackmesser, Taschenlampe und Zündhölzer gepackt hatte.

 

In der Stille der Nacht

Dann stehe ich in der heimeligen Wohnküche, die mit allen historischen Haushaltgeräten dieser Welt ausgestattet ist und erhalte vom Vermieter einen Crashkurs für die Bedienung von Gasflaschen, Holzofen und Boiler.Sackmesser und Taschenlampe bleiben jedenfalls unberührt. Das zweistöckige kleine Rustico überrascht mich mit Fernseher und bis in vorhandene Details wie Caffettiera, Eierschneider, Papierservietten oder Regenschirme. Was mich irgendwie erleichtert. Weniger der, wenn auch hübsche, junge Wolf, als dieser vor meiner Einsiedelei auf der Wiese auftaucht, mir durch das seitliche Fenster direkt in die Augen sieht und mein Herz sich vor Schreck zusammenkrampft. Das Licht wird ihn neugierig gemacht haben. Indes ist meine Neugierde für heute gedeckt und ich steige frisch geduscht ins gemachte Doppelbett im Dachstock. Wundersame Stille der Natur: zum Innehalten und den Zustand der Gelassenheit erreichen das Nonplusultra! Meine allererste Nacht in einem Rustico wird allerdings eine fast schlaflose. Ich höre sonderbare Knarr- und Krabbelgeräusche. Vom Dach, vom Holzboden, von der darunterliegenden Wohnküche, über meinem Kopf? Jetzt bloss nicht hysterisch werden. Das ist der Wind der weht. Will aber nicht so recht daran glauben und hoffe inbrünstig, dass dies alles draussen stattfindet, und nicht im Haus! Solche Stille muss Frau aus ächzend lauter Stadt erst einmal lernen auszuhalten. Ein Sprichwort des Österreicher Lyrikers Erich Fried kommt mir in den Sinn: Stille ist das nicht vorhandene Zwitschern der Vögel. Der hat ja keine Ahnung! Und ich sehne mir den Tag herbei.
Am nächsten Morgen zwitschern sie! Früh und alles andere als knackfrisch, aber bei bereits wärmenden Sonnenstrahlen, geniesse ich erwartungsfroh draussen auf der Bank den extrastark gebrauten Kaffee. – Links und rechts vom Fluss Brenne, der das Tal durchfliesst, kann ich mit weiteren Tessiner Unikaten sympathisieren. Sie thronen auf weiträumigen Alpweiden, alleine oder in kleinen Siedlungen auf oft abschüssigen Terrassen, verborgen in Hanglage, in Ortschaften oder abgelegen. Jedes mit Potenzial für paradiesische Ferientage. Einige nur im regen Sommerhalbjahr, andere wiederum auch ideal gelegen für Wintersportaktivitäten. – Die zweite, die Nacht der Sternschnuppen (la Notte di San Lorenzo) verschlafe ich tief und fest wie eine Blenieser Tochter. Bestimmt werde ich bald r i c h t i g e Rustico-Ferien machen. Vielleicht sogar im Winter. Allerdings mit Familie, Freunden, einem Hund oder wer sonst diese seit langem erträumte Erfahrung mit mir teilen wird.

Dass sich das „Piancabella“ mindestens zu Zweit entschieden besser geniessen lasse als alleine, stimmte mir auch sein Tessiner Besitzer Eros Domenighini aus Biasca, zu, den ich – wieder in Zürich – anrief. Er hat sein Rustico vor 20 Jahren erworben und mit Herzblut renoviert. Viel früher sei es im Mai und Juni als Maiensäss genutzt worden, bevor die Bauern mit dem Vieh auf die Alp weiterzogen. Was ihn zur Vermietung als Ferienhaus bewog? Ein Zufall und der Mangel an Zeit für regelmässige Besuche. „Werden nicht periodisch die Wiesen geschnitten, Gehölz und Bäume gerodet, wächst dort sehr schnell der Wald zu!“. Eros’ Beweggründe, seine umsorgte Cascina auch Fremden zu überlassen, seien einerseits ökonomischer Art wie er zugibt, aber auch der Wunsch, dass das kleines Holzsteinhaus belebt wird, und „es sich die Gäste dort gutgehen lassen!“.

PS: Auch der Ferienhausspezialist Interhome hat „mein“ Rustico vom Besitzer zur Vermietung in Obhut. (interhome.ch/schweiz/tessin/bleniotal/)