Zusammen mit Industriepartnern nähert sich die EMPA der Quantentechnologie immer näher an. Diese Technologien nutzen die besonderen Eigenschaften der fundamentalen Bausteine der Materie.

Man verspricht sich Verbesserungen in der Kommunikation, der Rechenleistung, der Messtechnik und in weiteren Bereichen. Wegen der Fragilität der Quantenzustände ist die Forschung an realen Anwendungen äusserst komplex. Mit einer Art «Quanten-Lego» konnte nun ein lange bekanntes theoretisches quantenphysikalisches Modell in einem synthetischen Material exakt nachgebaut werden.

Bits – ein oder aus

Unsere Computer – und somit die gesamte Rechenleistung der Menschheit – arbeiten mit Bits. Bei den Quantencomputern heissen diese Einheiten Qubits, die ebenfalls nur zwei Zustände haben. Die Quanteneffekte erlauben aber eine Superposition (Überlagerung) der beiden Zustände.

Das Qubit kann 0, 1 oder irgendeinen Wert dazwischen annehmen. Das gibt theoretisch unendlich viele Möglichkeiten. Mit dieser Fähigkeit sollen Quantencomputer Leistungen erzielen, die von den heutigen Supercomputern niemals erreicht werden können. Solange das Verknüpfen der Qubits miteinander nicht perfekt gelingt, funktionieren auch diese Wundercomputer nicht perfekt.

Theorie und Praxis divergieren

Die Wissenschafter und Forscher befassen sich mit dem Elektronenspin. Der Spin ist ein Drehmoment, das entweder nach oben oder nach unten zeigen kann. Zwei oder mehr quantenmechanisch miteinander verknüpfte Spins beeinflussen ihre Zustände gegenseitig. Diese Interaktionen der Spins untereinander sind sehr komplex. Mathematisch sind diese Phänomene beschreibbar, aber die Gleichungen für simple Verkettungen weniger Spins sind kaum exakt lösbar.

Empa-Forschenden aus dem «nanotech@surfaces Laboratory» entwickelten eine Methode, wie man viele Spins kontrolliert miteinander «sprechen» lassen kann – und ihnen dabei auch noch «zuhören», also ihre Wechselwirkungen nachvollziehen kann. Gemeinsam mit Forschenden der «International Iberian Nanotechnology Laboratory» und der Technischen Universität Dresden bauten sie eine archetypische Verkettung von Elektronenspins exakt nach.

Die Theorie hinter der Verkettung kennen alle Physikstudenten. In einer linearen Kette von Spins interagiert jeder Spin mit einem seiner Nachbarn stark und mit dem anderen schwach. Dieses eindimensionale alternierende Modell wurde vor fast 100 Jahren vom Physiker und späteren Nobelpreisträger Werner Heisenberg, einem der Begründer der Quantenmechanik, beschrieben. Es gibt natürliche Materialien, die solche Spinketten enthalten.

Es gelang aber bisher nicht, die Ketten gezielt in ein Material einzubauen. Wie bei vielen Dingen ist die Praxis oft wesentlich komplexer als die theoretische Grundlage. Zur Herstellung von künstlichem Quantenmaterial (artificial quantum matter) nutzten die Empa-Forscher winzige Stückchen des zweidimensionalen Kohlenstoff-Materials Graphen und für das Heisenberg-Modell das Clar’s Goblet. Dieses besondere Nanographen-Molekül besteht aus elf Kohlenstoffringen, die in einer Sanduhr-ähnlichen Form angeordnet sind. An beiden Enden befindet sich je ein ungepaartes Elektron mit einem dazugehörigen Spin. Das Clar’s Goblet konnte erst 2019 von die Empa hergestellt werden, obwohl es schon 1972 vom Chemiker Erich Clar vorhergesagt wurde.

Links: Hochauflösende Rastertunnelmikroskopie-Aufnahme von Clar's Goblet. Rechts: Struktur-Modell von Clar's Goblet (blau: Spin aufwärts, rot: Spin abwärts). Bild: Empa
Links: Hochauflösende Rastertunnelmikroskopie-Aufnahme von Clar’s Goblet. Rechts: Struktur-Modell von Clar’s Goblet (blau: Spin aufwärts, rot: Spin abwärts). Bild: Empa

Die Wissenschafter verknüpften die Goblets auf einer Goldoberfläche zu Ketten. Die zwei Spins innerhalb eines Moleküls sind schwach miteinander verknüpft, die Spins von Molekül zu Molekül stark. Die Länge der Ketten kann präzise manipuliert werden und die einzelnen Spins können gezielt ein- und ausgeschaltet und von einem Zustand in den anderen gedreht werden.

«Wir haben gezeigt, dass sich theoretische Modelle der Quantenphysik mit Nanographenen realisieren lassen und ihre Vorhersagen somit experimentell überprüfbar sind, erklärt Roman Fasel, Leiter des «nanotech@surfaces Laboratory» und Co-Autor der Studie. «So, wie die Synthese von Clar’s Goblet die Herstellung von Heisenberg-Ketten ermöglicht hat, wird auch diese Studie ihrerseits neue Tore in der Quantenforschung öffnen.» Die EMPA Forscher melden einen weiteren Erfolg. Sie konnten eine andere Art der Heisenberg-Kette nachbauen, bei der alle Spins gleich stark miteinander verknüpft sind.

 

Ein Rastertunnelmikroskopie-Bild zeigt die Spin-Kette aus einzelnen Clar's Goblets. Bild: Empa
Ein Rastertunnelmikroskopie-Bild zeigt die Spin-Kette aus einzelnen Clar’s Goblets. Bild: Empa

Die Theorie, die es für solche Forschungserfolge braucht, findet man nicht in Physikbüchern, betont Fasel. Für den Erfolg braucht es internationale Zusammenarbeit und eine anspruchsvolle Transferleistung zwischen dem quantenphysikalischen Modell und den experimentellen Messungen.