
Hochfester Stahl ist anfällig auf Versprödung durch atomaren Wasserstoff aus der Umwelt. Oxidschichten können das Eindringen von atomarem Wasserstoff aus der Umwelt verhindern. Die Empa-Forschung untersucht nun, wie Wasserstoff mit den dünnen Oxidschichten interagiert.
Beschädigte Bauwerke wie Brücken oder Gebäude gibt es schon einige. Vor einem Jahr stürzte ein rund 100 Meter langer Abschnitt der Carolabrücke in Dresden in die Elbe. Bei der Wasserstoffversprödung setzen in Anwesenheit von Wasser Korrosionsprozesse an der Oberfläche von Stahlbauteilen atomaren Wasserstoff frei. Dieses kleinste Element im Periodensystem diffundiert in den Stahl und bildet Risse.

Der Prozess ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt, versteht ihn aber bis heute nicht. Die neue Untersuchung der Empa erforscht die Interaktion des Wasserstoffs mit der nativen Oxidschicht auf Stahl. Diese dünne Schicht bildet sich auf natürliche Weise an der Oberfläche der meisten Metalle und Legierungen und verleiht rostfreiem Stahl die Korrosionsbeständigkeit.
Nicht alle Oxide sind gleich stabil und resistent und unterscheiden sich bei den verschiedenen Stahlsorten. Speziell beobachtet das Forscherteam die Grenzfläche zwischen dem Metall und seiner Oxidschicht. Dort herrscht am meisten Unordnung und dort sammelt sich auch der Wasserstoff.

Neue Versuchsanordnung
Mit den bekannten Methoden kann das Element nicht bestimmt werden. Alle externen Umweltfaktoren wie Sauerstoff und Feuchtigkeit müssen ausgeschlossen werden. Messungen an der verborgenen Grenzfläche ohne Zerstörung der Probe sind schwierig. Doktorandin Chiara Menegus entwickelte eine elektrochemische Zelle, in der die Stahlprobe befestigt wird. Durch Anlegen von elektrischer Spannung wird aus dem Wasser atomarer Wasserstoff generiert. Dieser diffundiert durch die dünne Probe, bis es die Oxidschicht auf der gegenüberliegenden Seite erreicht und hier mit dem nativen Oxid interagiert.
Für die Charakterisierung der Proben greifen die Forscherinnen auf eine in der Schweiz einmalige Analysetechnik zurück: Die sogenannte harte Röntgenphotoelektronenspektroskopie (engl. «Hard X-ray Photoelectron Spectroscopy», kurz HAXPES). Diese Spektroskopiemethode nutzt hochenergetische Röntgenstrahlung, um die Art und den chemischen Zustand von Atomen in einem Material zu bestimmen, und zwar nicht nur an der Oberfläche, sondern bis zu 20 Nanometer in der Tiefe – genug, um die rund fünf Nanometer dicke Oxidschicht sowie die darunterliegende Grenzfläche zum Stahl zu erfassen.
Der Wasserstoff kann damit nicht bestimmt werden, aber seine Auswirkungen auf die gesamte Oxidschicht. Der Wasserstoff baut die Schutzschicht ab. Jetzt werden die Oxide auf unterschiedlichen Eisen-Chrom-Legierungen und auf einigen gängigen Stahlarte untersucht. Mit einer aufwändigen Teilchenbeschleuniger-Methode wird dann zusammen mit dem «Ion Beam Physics Lab» der ETH Zürich der Wasserstoffgehalt in den Proben in Echtzeit und direkt bestimmt. Man hofft, den Effekt von Wasserstoff besser verstehen zu können und die resistentesten Oxidformen zu finden. Dann können langlebigere Brücken und Behälter für grünen Wasserstoff gebaut werden.