Beim täglichen Gassigehen mit meinen Hunden Blacky und Rambo morgens um 05.30 benutzten wir eine neue und bis anhin noch fast unbefahrene Nebenstraße, die durch eine erbauliche, aber wilde Landschaft führt.

Links und rechts der Straße beginnt der Dschungel und dort leben mehrere Hunderudel. Einige dieser Rudel zählen bis zu 7 Hunde. Unser Spaziergang wird sehr selten durch Autos oder Motorräder gestört, aber die wildlebenden Rudel machen sich regelmäßig lautstark bemerkbar und kommen, wenn wir an ihrem Revier vorbeigehen, aus ihrer Deckung und versuchen meine Vierbeiner mit giftigem Gekläffe zu beeindrucken. Gott sei Dank habe ich gute Hunde, die sich von solchen Drohgebärden nicht verunsichern lassen – nicht zuletzt deshalb, weil ich sie für ihr tadelloses Benehmen immer wieder mit kleinen Wurstscheiben belohne…

Eine Freundschaft bahnt sich an

Anscheinend hatte eine junge Hündin aus einem Rudel meine Fütterung beobachtet und es blieb mir nicht verborgen, wie diese jeden Morgen etwas zutraulicher wurde. Eines Morgens näherte sie sich fast meiner Reichweite und ich konnte ihr eine Wurstscheibe zuwerfen. Gierig nahm sie diese und verschwand. Das spielte sich einige Tage so ab, und eines Morgens nahm die Hündin Kontakt zu meinen beiden Hunden auf. Mein Hund Blacky liess sich auf eine kleine spielerische Rauferei ein. Im Gegensatz zum zweiten Hund Rambo, der seine unübersehbare Abneigung mit einem kräftigen Knurren bezeugte.

Doch schon bald war das Eis zwischen dieser wildlebenden Vierbeinerin und meinen Hunden und auch mir gebrochen. An den folgenden Tagen wartete sie schon auf unser Erscheinen. Zuerst begrüsste sie immer Blacky und dann stürmte sie auf mich, bzw. meine Wurstscheiben zu. Bald entwickelte sich eine Freundschaft und ich gab ihr den Namen LADY, weil sie so attraktiv und elegant war. Auch freute ich mich auf die tägliche Begrüßungszeremonie von ihr, denn sie begleitete uns immer ca. einen Kilometer weit – mithin die Länge ihres Reviers. Dann blieb sie stehen und schaute mich an, als wollte sie sagen: „Nimm mich doch mit!“ Mit ihrem spielerischen Verhalten und den treuherzigen Blicken hatte sie mein Herz erobert und ich beschäftigte mich immer wieder mit dem Gedanken, was wäre, wenn ich sie mitnehmen würde – Platz hätte ich ja ausreichend.

Andererseits wusste ich: Ein wildes Tier aufzunehmen ist um das Vielfache schwieriger als eines, das an eine Familie gewohnt ist. So verdrängte ich jenen Integrations-Gedanken wieder und beschränkte mich darauf, die wilde Vierbeinerin jeden Morgen mit einigen Streicheleinheiten und Wurstscheiben zu verwöhnen.

Wo steckt Lady?

Über eine längere Zeit verliefen so unsere allmorgendlichen Begegnungen bis zu jenem Morgen, als besagtes Tier nicht auf uns wartete. Ich rief mehrmals nach ihm, doch es erschien nicht. Es beschlich mich eine gewisse Traurigkeit, denn sein Erscheinen war immer eine schöne Abwechselung auf unserem Rundgang gewesen. „Na ja, vielleicht hat sie Besseres vor“, dachte ich; doch dann vernahm ich plötzlich ein Geräusch einem Ächzen gleich – ja fast ein Kreischen: Ich entdeckte Lady seitlich im Straßengraben liegen. Sie schaute mich an, und als meine beiden Hunde sie beschnupperten, bemerkte ich, dass sie sich nicht bewegen konnte. Als ich zu ihr hinabging, sah ich, das sie arg verletzt war.

Offene Wunden klafften am ganzen Körper und sie konnte sich kaum noch bewegen. Ich realisierte rasch, dass ihr Vorderbein gebrochen war. Versuchte, sie aufzuheben und vorerst auf die Strasse hoch zu legen. Das halbe linke Vorderbein hing nur noch an etwas Haut und auch das rechte pendelte unnatürlich herab. Meine beiden Hunde sahen dem ganzen sitzend zu, als würden sie die traurige Situation verstehen. Nun bemühte ich mich, Lady in mein Auto einzuladen, und erstaunlicherweise liess sie dies ohne das leiseste Knurren oder Zusammenzucken mit sich geschehen: Es war naheliegend, dass sie sich in einem komatösen und dehydrierten Zustand befand.

Wiederum zuhause angelangt, wurde mir erst bewusst, wie früh es war und ich deshalb meinen Tierarzt noch nicht erreichen konnte. Unterdessen versorgte ich die Hundedame reichlich mit Wasser und desinfizierte ihre vielen Wunden. Punkt 9 Uhr stand ich als Erster vor der Türe des Tierarztes, aber seine erste Prognose war niederschmetternd: Gebrochene Vorderbeine und verschiedene, offene Wunden am Körper. Er war der Ansicht, um eine genaue Prognose zu erstellen, müsste man röntgen, was er auch auf mein Verlangen tun wollte; allerdings bemerkte er im nächsten Moment eine Tätowierung im Ohr der Hundedame:  Diese würde beweisen, dass sie bereits von der lokal bekannten Organisation „Soi Dog“ hier in Phuket behandelt worden sei. Er gab mir deren Telefonnummer und empfahl, mich mit dieser Organisation in Verbindung zu setzen. Was ich denn auch tat, und mir wurde am Telefon mitgeteilt, dass verletzte Tiere normalerweise von der Organisation selbst abgeholt würden, am selben Tag jedoch bereits alle Fahrzeuge unterwegs seien. Ich fragte, ob ich die Hündin vorbeibringen könne, was freudig bejaht wurde. So fuhr ich 90 Minuten aus dem südlichen in den nördlichen Teil der Insel Phuket am Flughafen vorbei zu Soi Dog.

  1. Kapitel: Hundedame in Behandlung

Dort angekommen wurde Lady aus dem Auto gehoben, auf den Tisch im Empfangsraum gelegt und mit einem nummerierten Halsband gekennzeichnet. Die neuseeländische Ärztin war der Ansicht, Lady müsste zuerst geröngt werden, um zu sehen, ob sie nicht auch innere Verletzungen hätte. Als sie in den Röntgenraum gebracht wurde, musste ich draussen warten. Während der Wartezeit wurde mir plötzlich bewusst, was alles in den letzten Stunden passiert war. Allmählich spürte ich mich wieder, denn vorher hatte ich nur funktioniert und war nur auf die verletzte Hündin fixiert gewesen. Plötzlich hörte ich auch das laute Bellen von vielen Hunden um mich herum. Ich stand auf und ging nach draußen, um zu sehen, woher das Bellen kam. Nun realisierte ich auch, wie gross das Gebäude der SOI DOG-Auffangstation war. An der langen Aussenseite des Gebäudes konnte ich die schönen und sauberen Boxen einsehen, aus denen das Bellen kam:

In diesen waren kleine, grosse, dicke, junge, alte und verletzte Hunde untergebracht. Einige der Hunde freuten sich über meinen Besuch und andere verschwanden knurrend in der hinteren Ecke der Box. Auf meinem weiteren Erkundungsweg stand ich plötzlich vor einem Käfig mit unterschiedlichen Katzen. Auch hier wurde ich von einigen mit lautem Miauen und spielerischen Gebärden empfangen. Dann wurde meine Bewunderung der vielen schönen Katzen jäh durch das Ausrufen einer Krankenschwester unterbrochen. Sie bat mich in den Empfangsraum, wo die Ärztin auf mich wartete. Letztere teilte mir mit, dass die Hündin bestimmt von einem Fahrzeug überfahren worden seien, denn ihre inneren Verletzungen wären schwer: Rippenbrüche, Lungenquetschung, Milz und das rechte Schultergelenk seien schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie fuhr weiter, die zwei Vorderbeinbrüche seien das kleinste Problem, aber ob Lady die inneren Verletzungen überleben werde, sei nicht sicher. Ich fühlte einen tiefen Schmerz in mir und konnte ein paar Tränen nicht verbergen.

Wie weiter mit der verwundeten Hündin?

Die Ärztin erklärte, zuerst würde man jetzt die beiden gebrochenen Vorderbeine lediglich fixieren, denn es ergebe ja keinen Sinn, diese durch eine aufwendige Operation in Ordnung zu bringen, wenn die Hundedame den Unfall allenfalls nicht überlebe. Diese werde nun in die Intensivstation verlegt und dort die nächsten Tage beobachtet und behandelt. Sie reichte mir die Hand und sagte, sie würde sich bei mir melden. Verzweifelt und völlig neben mir stehend fragte ich: „Wie lange muss ich auf ihren Anruf warten?“ Sie schüttelte nur den Kopf und ging aus dem Raum. Da stand ich nun und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Schließlich ging ich nach draussen und suchte verstört nach meinem Auto, das ich unter den vielen mittlerweile dort geparkten Autos kaum ausmachen konnte.

Gerade wollte ich losfahren, da dachte ich plötzlich an die Kosten der Behandlung. Wer würde diese übernehmen, wie hoch würden sie ausfallen? Darüber wurde bisher nicht gesprochen. Ich verliess mein Auto wiederum und ging zurück in die Klinik zur Anmeldung. Dort sagte man mir, es werde keine Kosten für mich geben, denn die Hündin sei bereits bei der Organisation gelistet – deshalb ja die Tätowierung im Ohr. Zudem wäre es ja nicht mein Haustier. Ungläubig bedankte ich mich, aber richtig bewusst wurde mir das Ganze erst im Auto. Ich ließ die Seitenscheibe herunter, atmete tief durch, freute mich über diese überraschend positive Antwort und sagte nochmals laut vor mich hin: Danke, danke!

Doch rasch ergriff mich erneut die Angst um Ladys Wohlergehen. Zuhause empfingen mich meine zwei gutgelaunten Hunde Blacky und Rambo. Die folgenden Tage waren ein Wechselbad der Gefühle zwischen Traurigkeit und Hoffnung. Ab und an machte ich mir gar Vorwürfe und fragte mich: „Wieso hast du die Hündin nicht früher zu Dir genommen?“ Im Nachhinein kann ich mir dennoch sicher sein, dass es richtig war, nicht einfach ein wildes Tier aus seinem Rudel zu reissen.

Banges Warten und eine verhinderte Amputation

Nach einer langen Woche erhielt ich endlich einen Anruf aus der Klinik. Gespannt und ungeduldig hörte ich der Ärztin zu, die mir weder was sagen konnte, noch wollte und mich um mehr Geduld bat. Wieder eine Woche wartete ich vergeblich auf einen weiteren Anruf. Ich entschloss mich schliesslich, zur Klinik zu fahren. Leider konnte ich mit der Ärztin nicht sprechen, denn sie operierte. Auch Lady konnte ich nicht sehen, denn niemand durfte in den Bereich der Intensivstation. Ich versuchte etwas von den Betreuern zu erfahren, aber auch das klappte nicht wirklich. Enttäuscht ging ich hinaus und schaute mir nochmals die schönen Boxen mit den vielen bellenden Hunden an.

Nach fast 6 Wochen endlich ein Anruf der Ärztin. Sie sagte, die verletzte Hündin sei noch nicht über den Berg, aber es ginge ihr etwas besser. Doch um die inneren Verletzungen auszuheilen, brauche es noch viel Zeit. Sie sagte mir weiter, ich könne Lady besuchen, denn sie wäre nicht mehr in der Intensivstation. Gleich am nächsten Tag fuhr ich zur Klinik und konnte die mir mittlerweile ans Herz Gewachsene in einer Box liegen sehen. Ich öffnete diese und versuchte sie zu berühren, doch sie erschrak. Ich verkniff mir deshalb einen zweiten Versuch. Meine mitgebrachten Wurstscheiben nahm sie nicht ‚mal zur Kenntnis, sie würdigte mich keines Blickes. Irgendwie war ich enttäuscht und doch auch glücklich, dass sie überhaupt am Leben war. Ich blieb noch eine Weile vor ihrer Box stehen, bis mich die Ansprache der Ärztin aus meinen Gedanken riss.

Diese sagte unverhohlen: „Wir kommen nicht darum herum, Lady das rechte Vorderbein zu amputieren, doch das ist für einen Hund kein Problem, denn diese kommen mit drei Beinen gut zurecht“. Dem stimmte ich nicht zu. Die Ärztin fragte: „Ist das ihre Hündin?“ „Leider nein“, erwiderte ich, „aber ich werde diese nach Möglichkeit adoptieren“. Weiter fügte sie an, die Verletzungen im rechten Schultergelenk seien so stark, dass ihr ohne Amputation kaum zu helfen wäre. Ich fragte, wie es denn um ihre anderen Verletzungen stehe. Die anderen Verletzungen seien unproblematisch, sagte sie, lediglich die Schulter sorge für Komplikationen: „Lady ist jung und stark und wird auch eine Amputation überstehen.“ Ich bat die Ärztin höflich, mit der Amputation noch zuzuwarten. Sichtlich genervt stimmte sie zu und versicherte, sie werde die Hündin weiter beobachten. „Vielen Dank!“, rief ich ihr hinterher.

Auf dem Heimweg stellte ich mir dennoch die Frage, ob mein spontaner Einspruch gegen eine Amputation richtig war. Doch im Grunde war ich überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

  1. Kapitel: Kommt Lady doch noch zu mir?

Es vergingen erneut einige lange Wochen, in denen ich nichts von der havarierten Hündin hörte, bis ich von Aerztin Dana angerufen wurde. Sie fragte mich, ob ich die Hündin adoptieren wolle. Selbstredend antwortete ich mit „ja“ und fragte weiter nach Ladys Zustand? „Sie ist soweit, dass Sie sie abholen können“. Ich vereinbarte mit Dana einen Termin am nächsten Tag und stand zur abgesprochenen Zeit in ihrem Office. Sie erklärte mir, bevor ich die Hundedame mitnehmen könne, müsse ich noch einen Adoptionsvertrag ausfüllen und unterschreiben. Der Adoptionsvertrag bestätigte mir meinen positiven Eindruck: Soi Dog ist eine durch und durch professionelle Organisation!

Nachdem ich den Vertrag unterzeichnet hatte, bedankte sich die Aerztin für mein Engagement. Sie kündigte an, dass sich Soi Dog in den kommenden Monaten nach der Hundedame erkundigen werde, das könne schriftlich oder persönlich vor Ort sein. „So gehört sich das“, dachte ich. Mit grossen Schritten und sehr aufgeregt begab ich mich nun zur Rezeption und fragte nunmehr nach meiner Lady. Die Dame bat mich, Platz zu nehmen und noch ehe ich mich gesetzt hatte, wurde die Hundedame schon von einem Betreuer hereingeführt. Mein erster Blick ging zu ihren Beinen, die alle vorhanden waren. Ich hätte schreien können vor Glück. Lady war wieder vollkommen gesund bis auf das Handicap des rechten Vorderbeins. Sie hatte kaum mehr Schmerzen, wenn sie auch etwas humpelte.

Glücklich übernahm ich sie, denn ich hatte auch eine Leine mitgebracht. Ich verabschiedete mich von dem Betreuer und ging langsam zu meinem Wagen. Als ich die Rückseite meines Autos öffnete, sprang Lady ohne ein Wort meinerseits mit einem eleganten Sprung hinein. Ich hätte sie erdrücken können vor Freude. Doch nun wollte ich nur eines – nach Hause. Ich war wie unter Strom, als ich die wiederum gesundete Vierbeinerin zu meinen anderen beiden Hunden führte: Die Hündin legte sich sofort auf den Boden und genoss oder erduldete die stürmische Begrüssung.

In diesem Moment schossen mir so viele Gedanken – auch Vorwürfe – durch den Kopf, doch der schöne Anblick meiner sichtlich vergnügten Hunde verdrängte meine Sorgen und ich war einfach nur noch glücklich.

Meine Recherchen: „Warum gibt es so viele wildlebende Hunde an dieser Straße?“

Ich fand heraus, dass die Strasse, an der Lady einst lebte, vor ca. 4 Jahren von myanmarischen Wanderarbeitern gebaut wurde. Die Camps dieser Arbeiter bestehen meistens nur aus Plastikfolien oder Wellblech, die Arbeiter leben dort unter primitivsten Verhältnissen (verglichen mit unserem Standard). Da sich die Camps abseits der Strasse, also im Dschungel befinden und um sich dort gegen die Gefahr von giftigen Schlangen zu schützen, halten sich die Arbeiter möglichst viele Hunde. Das Beschaffen von einem Hund ist in Thailand ein Kinderspiel, überall werden Hundebabys angeboten. In Thailand laufen und leben tausende herrenlose Hunde auf den Strassen.

Nach Beendigung ihrer Arbeit nehmen die Wanderarbeiter die Hunde aber nicht mit, sondern sie überlassen die Tiere ihrem Schicksaal. Wenn immer die Organisation Soi Dog von solchen wildlebenden Tieren erfährt, versuchen die Hilfsorganisation, die Hunde und Katzen zu kastrieren und zu sterilisieren. Nach der Behandlung werden die Tiere immer wieder in die „Freiheit“ entlassen – mit der Begründung, ein wildlebender Hund oder eine wildlebende Katze sei nicht vermittelbar.

Ihre ärztliche Behandlung bestätigt Soi Dog durch eine Tätowierung im Ohr des Tieres. An dieser Stelle spreche ich nochmals ein großes Dankeschön an die Organisation aus, welche in meinem Falle professionell gearbeitet hat!

Auch kann ich jedem Tierliebhaber empfehlen, diese Auffangstation einmal zu besuchen – und allenfalls Freude daran zu bekommen, sich bei dieser etwas zu engagieren!